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Die weiße Frau im alten Schlosse zu Stettin


Es lebte einst vor ungefähr zweihundert Jahren ein schönes, junges Fräulein bei Stettin,
Sidonie von Bork genannt, aus einem alten, vornehmen Geschlechte. Sie war wunderbar hübsch, dabei klug und liebenswürdig, so daß sie jeden, der sie nur sah, bezauberte. Doch obgleich mancher Jüngling sie bewunderte, fand sich kein Freier, weil sie arm war.

Einst kam der Sohn des Herzogs von Pommern, welcher in Stettin sein Schloß hatte, bei einer Jagdfeier auf das Gut ihres Vaters, und bewunderte ihren Liebreiz sowohl, wie ihre hohe Begabung. Ein solch Meisterwerk, vollendet an Leib, Seele und Geist, hatte er wohl noch nicht gesehen.

Ihr langes, blondes Haar umwalkte sie wie ein Mantel, und so zart war ihre Haut, daß sie mit dem Schnee wetteiferte, dazu war sie schlank wie eine Tanne, und ihr Antlitz glich der Madonna.

Als er auf sein Schloß in Stettin zurückkehrte, wurde er traurig, und der Herzog wie seine Gemahlin konnten sich diese Veränderung nicht deuten, da der Prinz sonst flott und fröhlich war. Als man ihn fragte, worüber er traurig wäre, antwortete er: Ich sinne darüber nach, wie man einen königlichen Schwan vom Entenhofe erlösen kann." Diese Rede verstand niemand, endlich erzählte er seiner Mutter von der schönen Sidonie von Bork, die einsam auf dem Lande ihre Jugend vertrauerte.

Die Herzogin fuhr hin, überzeugte sich von der Anmut des Edelfräuleins und nahm sie zu sich an den Hof als Hofdame. Wie wurde sie jetzt von allen beneidet wegen des großen Glückes und doch mit Unrecht, denn all ihre Gaben sollten ihr nur zum Verhängnis werden, weil die Frauen ihr kein Glück gönnten.

Der junge Herzogssohn Ernst Ludwig gewann sie so lieb, daß er beschloß, sie zu heiraten, obgleich sie ihm nicht ebenbürtig war. Jetzt wurden seine Verwandten gegen sie aufgehetzt, und das Leben am Hofe wurde ihr zur Hölle; der junge Prinz aber bekam nicht die Erlaubnis, sie zu heiraten, und damit sie ihm aus dem Sinn käme, schickte man sie fort. Sie kehrte in ihre Heimat zurück und lebte dort ganz vereinsamt, da ihr Vater gestorben war.

Der Prinz Ernst Ludwig wurde krank, und jetzt fing man an, sich heimlich zuzuflüstern, Sidonie hätte ihn behext, denn die besorgte Herzogin ließ Sidonie zurückkommen, und sofort wurde er gesund. Sidonie aber besaß unbändigen Stolz und wollte sich nicht ertrotzen, was man ihr nicht freiwillig gab, sonst wäre es ihr leicht gewesen, ihn sich zu erzwingen. Sie litt doppelt in ihrem Ehrgefühl der falschen Zungen wegen.

Um nun seiner Liebe und ihren Feindinnen zu entfliehen, ging sie wieder in ihre Heimat zurück, aber auch hier ließ man ihr keine Ruhe.

Der junge Ernst Ludwig, erst untröstlich, vergaß sie mit der Zeit und heiratete das reichste Fräulein, so damals in Deutschland war, die Prinzessin Hedwig von Braunschweig. Sidonie aber war schon als Zauberin ins Gefängnis gesteckt und ihr nur die Freiheit versprochen, wenn sie ihre Sünden im Kloster abbüßen würde. Lebensmüde zog sich Sidonie in das Jungfrauenkloster zu Marienkirch zwischen Stargard und Freienwalde in Hinterpommern zurück.

Die Neider aber, nicht zufrieden, daß sie dem unglücklichen Edelfräulein das Eheglück zerstört hatten, gönnten ihr auch diesen Ruhesitz im Kloster nicht. Da sie klüger war, wie die anderen Nonnen, so klagten diese sie der Hexerei an. Es lebte dort eine Frau, namens Wolde Albrechts, welche beim Pfarrer Lüdecke Haushälterin war, da letztere jedoch sehr schlecht von ihm behandelt wurde, flüchtete sie sich zu Sidonie, und diese nahm die Unglückliche in Schutz, worüber der Pfarrer öffentlich von der Kanzel beide der größten Greuelthaten beschuldigte.

Als Sidonie dies erfuhr, sagt sie nur: "Gott wird richten." Und siehe, als der Pfarrer bald darauf von einer Hochzeitsfeier spät nach Hause kehrte, verfehlte er den Weg, stürzte von der Brücke hinunter tief in einen Abgrund und brach sich bei dem Falle das Genick. Jetzt war es um sie und um die unglückliche Wolde Albrechts geschehen. Man beschuldigte beide der Zauberei.

Als man die Albrechts auf die Folterbank sperrte und peinlich ausfragte, da hat sie in ihren Qualen gestanden, daß sie beide Hexen wären. Daraufhin wurde Sidonie vor Gericht gestellt. Lange hat sie ihren Mut bewahrt und ihre Unschuld beteuert. Zuletzt wurde sie schwach von all dem Schmerzen, die im Namen der Kirche, welche das Evangelium der Liebe predigt, gegen sie verhängt wurden, und sie gestand, die größten Greuel gethan zu haben, die man ihr nachsagte. Zwar wiederrief sie sofort, als sie sich etwas erholt hatte, doch es half ihr nichts mehr, sie wurde zum Tode verurteilt und im Jahre 1620 vor dem Mühlentore zu Stettin enthauptet und ihr Körper verbrannt.

Selbst während ihres Hexenprozesses soll sie das zaubern nicht unterlassen haben, redete man ihr nach. Denn einst reisten zwei Herren nach Stettin, die sich über den Prozeß unterhielten, und recht schlecht über die arme Sidonie sprachen; da entstand plötzlich ein so gräuliches Stürmen und Brausen in der Luft, daß die Pferde scheu wurden, sich vom Wagen losrissen und davon stürmten.

Diese abergläubischen Männer, anstatt darin eine Strafe für ihr böses Lästern anzusehen, fanden darin eine neue Bestätigung, daß Sidonie von Borke eine Hexe sei, und so gingen sie zu dem Gericht und zeigten sie an, indem sie behaupteten, sie hätten Sidonie im Sturm gesehen.

Man sagte auch, daß von dem Scheiterhaufen aus ihrer Asche sich ein wunderschöner Vogel erhob, ähnlich einem Schwane. Ihre Seele soll in dieser Gestalt noch oft in der Abenddämmerung dort umherfliegen. Auch an dem Orte, wo sie so kurze Freude und so viel Leid erlitt, ist sie gebannt. Sie wandelt um Mitternacht durch die Gänge des alten Schlosses im weißen gewande mit lang wallendem Schleier, und wem sie erscheint, dem kündet sie den Tod eines Gliedes aus dem pommerschen Adelsgeschlechte an.

Ruhe findet sie erst, wenn kein Edelmann im ganzen Pommmernlande mehr um Geld freit.

Oft soll mancher des nachts Wehklagen und Weinen gehört haben; es ist die Unglückliche, welche jammert, daß sie wohl nie erlöst werde, denn bis zum jüngsten Tage wandelt wohl noch immer mancher Ritter die goldene Straße, wenn er zum Freien geht.

 
 
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